Aufhebung einer Ausschreibung mangels wirtschaftlicher Angebote – § 26 Nr. 1 VOB/A 2006 (§ 17 Abs. 1 VOB 2012)
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In seiner Leitsatzentscheidung „Friedhofserweiterung“ vom 20. November 2012 (Az.: X ZR 108/10) hat der BGH sich mit den Anforderungen an eine rechtmäßige Aufhebung einer Ausschreibung nach § 26 Nr. 1 Abs. 3 VOB/A 2006 (§ 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2009) mangels wirtschaftlicher Angebote befasst und dabei die Kriterien näher konkretisiert, die der BGH bereits in seinem Urteil vom 8. September 1998 X ZR 99/96 (BGHZ 139, 280) aufgestellt hatte:
1. Voraussetzung für eine solche Aufhebung nach § 26 Nr. 1 VOB/A 2006 (§ 17 Abs. 1 VOB/A 2009) ist nach dem BGH weiterhin, dass „die vor der Ausschreibung vorgenommene Kostenschätzung der Vergabestelle aufgrund der bei ihrer Aufstellung vorliegenden und erkennbaren Daten als vertretbar erscheint und die im Vergabeverfahren abgegebenen Gebote deutlich darüber liegen (BGH, Urteil vom 8. September 1998 X ZR 99/96, BGHZ 139, 280).“
2. Der BGH hat in seiner aktuellen Entscheidung vom 20. November 2012 (Az.: X ZR 108/10) die Anforderungen an die Vertretbarkeit der vorgenommenen Kostenschätzung hoch angesetzt:
„Für die Schätzung muss die Vergabestelle oder der von ihr gegebenenfalls beauftragte Fachmann Methoden wählen, die ein wirklichkeitsnahes Schätzungsergebnis ernsthaft erwarten lassen. Die Gegenstände der Schätzung und der ausgeschriebenen Maßnahme müssen deckungsgleich sein. Maßgeblich dafür sind im Ausgangspunkt die Positionen des Leistungsverzeichnisses, das der konkret durchgeführten Ausschreibung zugrunde liegt. Das Ergebnis der Schätzung ist verwertbar, soweit sie mit diesem Leistungsverzeichnis übereinstimmt. Es ist gegebenenfalls anzupassen, soweit die der Schätzung zugrunde gelegten Preise oder Preisbemessungsfaktoren im Zeitpunkt der Bekanntmachung des Vergabeverfahrens nicht mehr aktuell waren und sich nicht unerheblich verändert hatten.“
3. Nach dem BGH könnten keine allgemeinverbindlichen Werte nach Höhe oder Prozentsätzen angegeben werden, ab denen eine so deutliche Überschreitung der Angebotsschätzung vorliegen würde, dass eine Aufhebung rechtmäßig wäre. Maßgeblich müsse eine alle Umstände des Einzelfalls einbeziehende Interessenabwägung (BGH aaO mit Verweis auf BGH, Urteil vom 12. Juni 2001 – X ZR 150/99, VergabeR 2001, 293, 298). In der Friedhofserweiterungsentscheidung des BGH sind folgende Aspekte aufgeführt, die bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen sind:
– Das berechtigte Interesse des öffentlichen Auftraggebers an einer Aufhebung der Ausschreibung im Falle einer deutlich überhöhten Preisbildung weit jenseits einer vertretbaren Schätzung der Auftragswerte
– Das berechtigte Bieterinteresse, dass „das Institut der Aufhebung des Vergabeverfahrens nicht zu einem für die Vergabestellen latent verfügbaren Instrument zur Korrektur der in öffentlichen Ausschreibungen bzw. offenen Verfahren erzielten Submissionsergebnisse geraten darf“.
– Sinn und Zweck von § 26 Nr. 1 VOB/A aF (§ 17 Abs. 1 VOB/A nF), der eine enge Auslegung der Norm gebiete
– Der Umstand, „dass auch mit angemessener Sorgfalt durchgeführte Schätzungen nur Prognoseentscheidungen sind, von denen die nachfolgenden Ausschreibungsergebnisse erfahrungsgemäß mitunter nicht unerheblich abweichen.
Auch wenn der BGH keine konkrete Prozentangabe macht, hält er fest, dass das „Ausschreibungsergebnis […] deshalb in der Regel ganz beträchtlich über dem Schätzungsergebnis liegen [müsse], um die Aufhebung zu rechtfertigen.“
Die Ausführungen des BGH legen nahe, dass die bei dem Fall bestehende Differenz von ca. 10% vom BGH wohl nicht als so beträchtlich angesehen würden, dass eine Aufhebung gerechtfertigt gewesen wäre. Diese Feststellung oblag aber nicht dem BGH.
4. Fazit:
Der BGH setzt in seiner aktuellen Entscheidung zur Friedhofserweiterung die Anforderungen für eine Kostenschätzung des öffentlichen Auftraggebers hoch an. Dies ist im VOB-Bereich, in dem die Entscheidung ergangen ist, in der Praxis jedenfalls mit Hilfe von Fachleuten womöglich umsetzbar. Schwieriger ist dies in Bereichen der VOL/A insbesondere bei funktionellen Leistungsbeschreibungen. Ob der BGH auch in diesem Bereich die Anforderungen so hoch ansetzen würde, ist offen. Bis dahin ist auch für den Fall der Verfahrensaufhebung betreffend Lieferungen und Dienstleistungen nach § 17 Abs. 1 lit. c) VOL/A (§ 20 Abs. 1 lit. c) EG VOL/A) zu empfehlen, eine Kostenschätzung des Auftraggebers aus Gründen der Vorsicht so genau wie möglich vorab zu erstellen.
Die Rechtmäßigkeit der Aufhebung ist nach dem BGH aufgrund einer Interessenabwägung im Einzelfall festzustellen. In der Regel ist aber eine Aufhebung nur gerechtfertigt, wenn das Ausschreibungsergebnis ganz beträchtlich über dem Schätzungsergebnis liegt.