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Überwälzung ungewöhnlicher Wagnisse auf den Bieter in der VOL/A 2009?

Anette Prasser
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In § 8 Abs. 1 Nr. 3 der mittlerweile überholten VOL/A 2006 war ausdrücklich das Verbot geregelt, dem Auftragnehmer ungewöhnliche Wagnisse für Umstände oder Ereignisse aufzubürden, auf die er keinen Einfluss hat und deren Auswirkung auf die Preise und Fristen er nicht im Voraus schätzen kann. Diese Regelung wurde in der Neufassung der VOL/A 2009 nicht übernommen. Mithin stellt sich die Frage, ob das Verbot gleichwohl noch gilt, wie die Entscheidung des OLG Jena, Beschluss vom 22. August 2011, 9 Verg 2/11, es nahelegt oder dürfen dem Bieter nun entsprechende ungewöhnliche Wagnisse aufgebürdet werden?

Die Streichung des ausdrücklichen Verbotes in der VOL/A 2009 hat in der Fachöffentlichkeit eine Diskussion ausgelöst. Nachfolgend werden die zwei Richtungen der dazu ergangenen OLG-Rechtsprechung grob skizziert:

1. Das OLG Jena hat in seinem oben zitierten Beschluss dargelegt, dem Bieter dürfe trotz Streichung des Verbots im Sinne des § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A alter Fassung auch aktuell kein ungewöhnliches Wagnis im dort genannten Sinne aufgebürdet werden, auch wenn dieses Verbot nicht mehr ausdrücklich geregelt sei. Dies ergebe sich zum einen aus dem Willkürverbot und zum anderen aus dem Gleichbehandlungsgebot nach § 97 Abs. 2 GWB.

Auch das OLG Dresden hat in seinem Beschluss vom 02. August 2011, W Verg 0004/11, inhaltlich an dem Verbot festgehalten. Dies leitet das OLG Dresden aus dem aus § 97 Abs. 2 GWB abgeleiteten Gebot der Gleichbehandlung und Transparenz und einem „fairen Wettbewerb“ ab. Danach sei der öffentliche Auftraggeber gehalten, in den Vertragsbedingen für eine angemessene Verteilung der Risiken Sorge zu tragen.

2. In eine etwas andere Richtung geht der 7. Senat des OLG Düsseldorf, der sich gleich in mehreren Beschlüssen mit der Thematik befasst hat (Beschluss v. 19. Oktober 2011, VII–Verg 54/11, Beschluss v. 07. November 2011, VII-Verg 90/11 und Beschluss vom 07. März 2012, VII-Verg 82/11). In den beiden letztgenannten Beschlüssen führt der Senat zwar zunächst aus, dass das früher in § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A 2006 geregelte Verbot als solches nicht mehr bestehe und daher auch nicht mehr anzuwenden sei. Es verweist jedoch darauf, dass früher unter das explicite Verbot fallende Sachverhalte heute zumindest unter andere vergaberechtliche Ver- bzw. Gebotsvorschriften fallen könnten (OLG Düsseldorf, aaO). In besonderes gelagerten Sachverhalten könnte etwa das Gebot der eindeutigen  und erschöpfenden Leistungsbeschreibung, das Transparenzgebot (§ 97 Abs. 2 GWB), oder auch das Gebot zur Berücksichtigung mittelständischer Interessen verletzt sein (OLG Düsseldorf, aaO, vom 19. Oktober 2011 und vom 07. November 2011). Insbesondere könnte die Aufbürdung eines ungewöhnlichen Wagnisses

„allenfalls in der Regel unter dem Gesichtspunkt der (Un)zumutbarkeit einer für Bieter oder Auftragnehmer kaufmännisch vernünftigen Kalkulation“

zu beanstanden sein kann (aaO, Beschluss vom 07. November 2011).

Für das Erfordernis der „Zumutbarkeit“ der Ausschreibungsbedingungen für den Bieter beruft sich das OLG Düsseldorf auf die Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 10. Juni 2008 – X ZR 78/07; Beschluss vom 18. Februar 2003 – X ZB 43/02) sowie des OLG München (Beschlusses vom 22. Januar 2009, Verg 26/08). Zahlreiche Vergabekammern, so z.B. die VK Reinland-Pfalz mit ihrem Beschluss vom 20.09.2012, VK 2 – 25/12, haben sich diesem Verständnis angeschlossen. Woraus sich dieses Erfordernis der „Zumutbarkeit“ ergibt, lassen sowohl der BGH wie die sich auf diese Entscheidung beziehenden OLGs offen.

Was dem Bieter letztlich noch zumutbar ist, wäre danach eine von den Gerichten jeweils zu prüfende Einzelfallfrage. Unzumutbar könnte nach dem OLG Düsseldorf zum Beispiel die Verlagerung vertragstypischer Risiken wie beispielsweise das Verwendungsrisikos auf den Auftragnehmer sein. In der fraglichen Entscheidung erachtete das OLG Düsseldorf die Bedingungen für den Bietern noch zumutbar: Gegenstand der Entscheidung war die Vergabe von berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen, wobei die Leistung in Losen und die einzelnen Lose als Rahmenverträge ausgeschrieben wurden. Die Tatsache, dass der Bedarf schwanken konnte und der Auftraggeber lediglich eine Mindestteilnehmerplatzzahl von 60 % zusagte, und die damit für den Bieter einhergehende Risikoauferlegung beurteilte das OLG – auch angesichts der durch die Losaufteilung vorgenommenen Risikoaufteilung – letztlich noch als zumutbar. Ähnlich argumentiert auch das OLG München in seinem Beschluss vom 06. August 2012 wiederum unter Berufung auf die Auffassung des OLG Düsseldorf. Dort war Gegenstand der Entscheidung die Vergabe von Müllabfuhrleistungen. Dabei mussten die Bieter über die Jahre Mengenabweichungen von +/-20 bzw. +/- 25 %  von den angegebenen Müllmengen einkalkulieren. Mengenabweichungen in dieser Höhe schätzte das OLG München zwar als grenzwertig ein, verneinte aber ein unzumutbares Risiko.

Eine Vorlage dieser Frage zum BGH wäre wünschenswert, steht bisher aber noch aus. Was bedeutet das für die Praxis? Auch nach formellem Wegfall des Verbots der unzumutbaren Wagnisüberbürdung dürfen nach der Rechtsprechung dem Bieter/Auftragnehmer nicht jegliche Wagnisse auferlegt werden. Insbesondere im Zuständigkeitsbereich des OLG Dresden und OLG Jena muss bis auf weiteres damit gerechnet werden, dass die Auftragsbedingungen nach wie vor an den von der Rechtsprechung zu § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A 2006 entwickelten Vorgaben gemessen werden. Im Übrigen wird zwar wohl der Wegfall des Verbotes als solches grundsätzlich anerkannt, gleichwohl messen die Spruchkörper bei in diese Richtung gehenden “fraglichen” Fallgestaltungen die Auftragsbedingungen an allgemeinen noch bestehenden Grundsätzen der VOL/A wie Transparenz, Wettbewerbsgebot, Förderung des Mittelstandes und Gleichbehandlungsgebot und insbesondere am dogmatisch nicht klar eingeordneten Erfordernis der „Zumutbarkeit“ für den Bieter. Was noch zumutbar ist, ist nach der Linie des OLG Düsseldorf nicht abstrakt bestimmbar. Ausgehend von der vorliegenden Rechtsprechung des OLG Düsseldorf dürfte die Grenze zur „Unzumutbarkeit“ wohl höher liegen als bei dem bisherigen Verbot zur Aufbürdung eines ungewöhnlichen Wagnisses auf den Bieter gemäß § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A 2006.